Mythos Schwäbische Alb
04.12.2024

Die neue Ausgabe Marktleben: Wollgefühl - Die Natur auf unserer Haut

Foto: Lippert Photography
Titel Marktleben
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Titel Marktleben

Beim Gönninger Naturtextil-Hersteller Reiff Strickwaren findet der gesamte Fertigungsprozess vom Garn bis zum schicken Kleid oder Babyschlafsack noch an einem Ort statt. Aus bio-zertifizierten Materialien entstehen hier Lieblingsteile der ganz besonderen Art.

Wer Axel Reiff in seinem blauen Arbeitskittel zwischen seinen Strickmaschinen stehen sieht, der fühlt sich in eine andere Zeit versetzt. In die Zeit vor der Globalisierung, als Textilwirtschaft in Deutschland noch bedeutete, Textilien herzustellen – nicht nur, sie irgendwo auf der Welt produzieren zu lassen und damit zu handeln.

Geschichte von Qualität und Schwaben-Fleiß  

Der Firmenchef selbst, und kein anderer, steht hier an den Flachstrickmaschinen aus dem Hause der Reutlinger Firma Stoll und stellt die Stoffe her, aus denen seine Produkte entstehen. Ein gutes Dutzend Maschinen fasst der Raum in der Weiherstraße in Gönningen, in dem er etwa elf Tonnen Wolle pro Jahr verstrickt – fünf weitere Tonnen Stoff aus Wolle beziehungsweise Wolle/Seide lässt er im Lohn von Rundstrick-Betrieben in der nahen Umgebung fertigen. Nur wenige hundert Meter weiter, direkt an der Durchgangsstraße nach Reutlingen, sitzen – auf etwas mehr Platz – etwa 20 Näherinnen. Die gesamte Produktion von der Garnspule bis zum Versandkarton – das gibt es heute in Deutschland, außer bei ganz kleinen Betrieben, kaum noch.

Früher, ja, da war die Gegend um Reutlingen und Albstadt voller Textilfirmen. Dann kam die Abwanderung in Billiglohnländer, insbesondere nach Asien. Die wenigen, denen es gelang, ihre Produktion am Ort zu behalten, waren vor allem Naturtextil-Firmen mit besonders hochwertigen Produkten. Dazu zählte die vor drei Generationen gegründete Firma Reiff Strickwaren in Gönningen, die bis Ende 2002 für renommierte Marken produzierte. Aber viele der Hauptabnehmer wurden entweder groß und wechselten zu internationalen Bezugsquellen oder sie gingen insolvent. 2003 stand das Familienunternehmen dadurch nahezu vor dem Aus.

Um den Betrieb zu retten, entschlossen sich die Geschwister Axel und Andrea Reiff zu einem riskanten Schritt: die Gründung einer eigenen Marke. Das war fünf Wochen vor der großen Naturtextil-Messe, der Innatex in Wallau im Taunus. Die Erstellung einer Kollektion, eines Katalogs, der Entwurf eines Logos – geht das in der Zeit? „In diesen Wochen haben wir von früh bis spät durchgearbeitet“, erzählt Axel Reiff, „Heiligabend war der einzige Nachmittag, den wir uns frei nahmen.“ Er lieh sich eine der ersten Digital-Kameras und ein Corel-Draw-Programm und erstellte in zwei Nächten ohne Schlaf den Katalog für die Messe.

Im Einklang mit Mensch und Natur

Wer heute im Untergeschoss der Produktionshalle im Fabrikverkauf von Reiff Strickwaren steht, will sich gar nicht vorstellen, dass es das alles nicht mehr geben könnte. Was mit Baby-Kleidung angefangen hat, umfasst nun auch wunderbare Teile für Kinder, Damen und Herren.

Axel Reiff verstrickt ausschließlich Wolle von Merinoschafen aus kontrolliert biologischer Tierhaltung (kbT) und Mischungen aus dieser Wolle mit Seide. Diese Naturfasern, zertifiziert mit dem   internationalen GOTS-Siegel, teilweise auch nach dem noch anspruchsvolleren IVN-Best, haben Eigenschaften, die von modernsten Kunstfasern nicht erreicht werden. Sie sorgen für einen perfekten Temperaturausgleich, wärmen bei Kälte aber überhitzen nicht bei Wärme. Und sie weisen Schmutz und Gerüche ab, sind langlebig und robust. Außerdem müssen sie nicht oft gewaschen werden, ein Auslüften reicht meist aus.

„Aber Wolle, das kratzt doch so“, diesen Satz hören Andrea und Axel Reiff immer wieder. „Das ist lange her, dass das so war“, erklären sie. Für manchen handgestrickten Pulli mag es noch gelten, aber nicht für die Reiff-Ware. Früher verwendeten viele Hersteller kurz- und dickfaserige Wolle. Die feine Wolle der heutigen Schafzüchtung kombiniert mit den fortgeschrittenen Verarbeitungsmethoden haben das Tragegefühl der Wolle grund- legend verändert. Mollig weich fühlt sie sich an, glatt und angenehm.

Ein gutes Gefühl

Das gute Gefühl beim Tragen der Marke Reiff entsteht bei vielen vor allem durch die Natürlichkeit und Verarbeitung der Faser. Hinzu kommt das Wissen, dass die Kleidung, die man trägt, unter besten Bedingungen für die Natur, die Mitarbeitenden und auch die Tiere entstand. Kürzeste Transportwege, faire Arbeitsbedingungen, das alles können Billigprodukte nicht vorweisen.

Dazu darf man wissen, dass kbT-Wolle von Schafen stammt, denen das äußerst schmerzhafte Mulesing – ein Beschneiden von Hautfalten um Fliegenmaden-Befall zu verhindern – erspart bleibt. Die Merinoschafe grasen in Patagonien, wo diese Fliegen nicht vorkommen, auf weiten Flächen. In diesem Hochgebirgsklima wächst das Wollhaar besonders fein.

Der Meister an den Strickmaschinen zaubert aus den wertvollen Naturgarnen meisterliche Stoffe, Jacquard-Gestricke beispielsweise oder Kreppwalk. Kreppwalk ist ein Strukturgestrick, das zur Veredelung und zur Erhöhung der Maschen- dichte warm gewaschen und dadurch leicht gewalkt wird. Der Stoff bleibt noch flexibel, ist aber trotzdem relativ robust.

In der Konfektion entsteht aus diesen Stoffen Schönes für sie und ihn und Praktisches für Baby und Kind. Gerade bei den Baby-Sachen merkt man, dass da seit Jahren mitgedacht wird. Der Baby-Schlafsack lässt sich von oben und unten öffnen, so kann man in der Nacht ohne großen Aufwand wickeln. Für größere Kinder gibt es ihn auch mit Beinen zum Herumtollen in der ganzen Wohnung.

Vielfalt und Design

Viele fangen mit Naturfaser-Kleidung bei ihren Babys an und entdecken sie dann irgendwann für sich selbst. Ob Strickkleid, Jacke oder Hoodie, Leggins oder Mütze – Reiff kennzeichnet ein schönes, gern auch schickes Design in herrlichen Farben, gemustert oder uni, eine unglaubliche Vielfalt an echten Lieblingsteilen. Nicht nur die Optik machen sie dazu, sondern insbesondere das Tragegefühl.

Bei all der Nachhaltigkeit und dem Aufwand, mit dem das alles hergestellt wird, ist der Preis tatsächlich gar nicht höher als bei Markentextilien allgemein üblich. Im Fabrikverkauf, an der besagten Durchfahrtsstraße, findet man die gesamte Kollektion, kann sich beraten lassen und die Haptik der Stoffe fühlen. Zusätzlich zu den üblichen Öffnungszeiten kann hier auch an den Adventssamstagen gestöbert werden.

Tatsächlich gibt es nicht mehr viele Unternehmen wie Reiff Strickwaren, die als sogenannter vollstufiger Flachstrickbetrieb nicht nur die Stoffe selbst stricken, sondern diese auch weiter-verarbeiten – von der Mustererstellung bis zum fertigen Produkt, alles im eigenen Hause. EU-Richtlinien, wie die neue Produktsicherheitsverordnung, die e-Rechnung und andere, sind für große Betriebe entworfen und führen bei den kleinen leicht zu einer bürokratischen Überlastung, die existenzbedrohend sein kann. Trotz dieser Widrigkeiten kann man nur hoffen, dass uns dieses urschwäbische Unternehmen mit ihren hochwertigen Qualitätsprodukten noch lange erhalten bleibt!

www.marktleben.de | www.reiff-strick.de

Datum

04.12.2024