Ernst Ludwig Kirchner: Modelle, Akte & Kokotten
Sommerkunstausstellung in der Stadthalle Balingen - Eine Ausstellung des Brücke-Museums Berlin von Sa. 2. Juli bis Mo. 3. Oktober 2016, täglich geöffnet von 10.00 – 18.00 Uhr, langer Dienstag bis 21.00 Uhr
Mit Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938) setzt die Stadt Balingen die Reihe ihrer traditionellen großen Sommerausstellungen zur klassischen Moderne fort.
Mehr als 125 Werke von Ernst Ludwig Kirchner, dem bedeutendsten expressionistischen Maler, umfasst die Auswahl aus dem international renommierten Brücke-Museum Berlin, die selbst dort in dieser thematischen Dichte noch nie zu sehen war. Sie stellt so einen weiteren Höhepunkt für das kulturelle Angebot der Region dar. Erstmals konzentriert sich eine Ausstellung zu Kirchners Werk auf das reizvolle Thema „Modelle, Akte und Kokotten".
Die Auswahl gewährt intime Einblicke in die Welt seiner Frauen und Modelle, die bei näherer Betrachtung ihre Identität, Einflüsse und Geschichten offenbaren: Fränzi und Marcella, die Artistenkinder; Dodo und Erna, die Lebensgefährtinnen; Nele van de Velde und Otto Klemperer, seine Sanatoriumsbekanntschaften; Literaten wie Alfred Döblin und Simon Guttmann, sein Kunsthändler Schames, sowie die Tänzerinnen Nina Hard, Mary Wigmann und Gret Palucca, sind die Weggefährten Kirchners, die – von der Dresdener Zeit, über Berlin bis in die Davoser Abgeschiedenheit – zu seinen Modellen und Bildnissen wurden.
Die Ausstellung offenbart somit Kirchners Gedankenwelt, seine Schaffensweise und deren Hintergründe, die sein künstlerisches Oeuvre in der damaligen schnelllebigen Zeit voller technischer Neuerungen, gesellschaftlicher und politischer Umbrüche, auch hundert Jahre später erstaunlich aktuell erscheinen lässt.
Mehr als 100 Jahre ist es her, dass Kirchner als Initiator der Künstlergemeinschaft „Brücke“ (1905-1913) mit einer neuen flächig farbigen Malerei, Holzschnitten und dynamischen Zeichnungen die akademische Tradition aus den Angeln hob und nach höchster Authentizität des emotionalen Ausdrucks strebte. Gemälde wie „Aristin-Marcella“ (1910) im gestreiften Badeshirt aus der „Brücke“-Zeit oder das große, selten zu sehende Gemälde „Frauen im Bade“ (1911) sowie die Kokotten „Im Cafégarten“ (1914), oder der „Rückenakt mit Spiegel und Mann“ (1912), um nur einige zu nennen, sind Meisterwerke des Expressionismus.
Flankiert werden sie von Kirchners Aquarellen, Holzschnitten, Lithografien sowie den virtuosen Bleistift-, Kohle- und Federzeichnungen, die in ihrer Unmittelbarkeit wie kein anderes Medium, die hereinbrechende Schnelllebigkeit der Metropole Berlin bannen.
Im Mittelpunkt der Auswahl steht dann auch Kirchners Berliner Zeit: Der Künstler bewegt sich auf Plätzen und Straßen und zeichnet. Im Atelier arbeitet er an den Gemälden. Wie getrieben hält er bis „zur Raserei“ alles fest – ein Ausdruck der Reizüberflutung durch das bislang ungewohnt hektische Treiben mit Straßenbahnen, Straßenlaternen, Brücken, Droschken, ersten Autos sowie Cafés, Varieté, Tanz und Völkerschauen. Kirchner fängt vor allem in der menschlichen Figur das moderne Leben ein und gibt „der Metropole ein Gesicht“ (Florian Illies in „1913“). Die Aufenthalte auf der Insel Fehmarn und sein mit Schnitzereien und Stickereien gestaltetes Atelier ist die Gegenwelt zum hektischen Berliner Straßenleben: Es ist sein Ort des kreativen Rückzugs mit Modellen in freier ungezwungener Atmosphäre. Hier sind es die Darstellungen von Akten, Tanz und Bildnissen: nach der heiteren Farbigkeit der „Brücke“-Zeit, jetzt in dunkleren Tönen.
Die werbenden Halbweltdamen am Potsdamer Platz und auf dem Kurfürstendamm gehören jedoch zur „Außenwelt“, die ihn ebenso fasziniert. Prostitution auf der Straße ist verboten und Kirchner zeigt die Kokotten als mondäne Frauenfiguren mit kleinen Attributen, Federhut oder einem schnellen Blick, der ihr Gewerbe verrät. Zum ersten Mal kann man die Gegenüberstellung dieser zwei Welten, die Kirchner wie kein anderer festgehalten hat, in einer Ausstellung so gut nachvollziehen.
Die sogenannten Straßenbilder der Vorkriegs- und Kriegszeit bezeichnen den Höhepunkt in Kirchners Schaffen. Sie sind Symbol und Sinnbild für den Niedergang des Kaiserreiches im Umbruch zur Moderne. Selbstzeugnisse Kirchners zeigen, wie er sich – in der Zeit persönlicher und politischer Umbrüche - mit deren Einsamkeit und Vergänglichkeit assoziiert: „Wie die Kokotten, die ich malte, ist man jetzt selbst. Hingewischt, beim nächsten Male weg", schreibt er im Kriegsjahr 1916 angstvoll in einem Brief an den Hamburger Mäzen, Sammler und Kunstkritiker Gustav Schiefler.
Die Auswahl der Exponate zeigt, wie jedes Jahrzehnt seines künstlerischen Wirkens von anderen Figuren, Einschnitten und Gedanken geprägt ist: Die Zeit an den Moritzburger Teichen mit den jungen anmutigen Modellen Fränzi und Marcella, seine lebensreformerische Naturverbundenheit und die frühe Abkehr von Konventionen spiegelt sein Schaffen in Dresden bis 1911. Dazu gehören auch die Akte und Liebespaare in allen Stadien, akribisch festgehalten mit der rein umfangenden Linie.
Ein weiterer Höhepunkt der Ausstellung ist das selten ausgestellte großformatige Ölgemälde „Frauen im Bade“ (1911), dessen exotische Sinnlichkeit auf die indische Malkunst der Ajanta des 6. Jahrhunderts zurückgeht, die für Kirchner Kraft und Natur zum Ausdruck bringt.
Ab 1913 kündigen die Berliner Straßenbilder überdrehter Kokotten beginnendes Unheil an. Ihr kantiger, hektischer Strich ersetzt die schnellen, runden und leichten Züge der frühen Dresdener Zeit – bis der Erste Weltkrieg in Kirchners Welt hineinbricht und ihn in die Nervenheilanstalt bringt.
In der Davoser Bergwelt sucht er seine Heilung, während um ihn herum die Künstler des Bauhauses und andere Avantgarden bereits neue Wege gehen, die er noch in seine Arbeit aufnimmt.
Ein Exkurs in der Ausstellung führt zu Kirchners immerwährender Faszination von Bewegung und Tanz. Mit den legendären Ausdruckstänzerinnen Mary Wigmann und Gret Palucca verbindet ihn in den 1920er Jahren die Geisteshaltung. Sie inspirieren ihn, gleichsam als Modelle, zu großformatigen Holzschnitten und bewegten Zeichnungen. Neben Darstellungen in allen künstlerischen Techniken hält er ihren Nackt-Tanz im Wald aber auch in dem damals jungen Medium der Fotografie fest. Kirchners Originalfotografien mit der Plattenkamera aus den 1920er Jahren sind in der Ausstellung zu sehen. Sie dokumentieren erneut sein zeitgeistiges experimentelles Streben, die Natur des Menschen in aller Tiefe, Anmut und Bewegung festzuhalten und dienten ihm vereinzelt als Vorlage seiner Bilder.
Die Ausstellung endet mit dem Ölbild einer „Schafherde“ (1938) vor seinem Davoser Haus. Es ist sein letztes, bevor er sich aus Angst vor dem Einmarsch der Nationalsozialisten an einem sonnigen Frühsommertag, dem 15. Juni 1938 mit zwei Pistolenschüssen das Leben nimmt.
Ein umfassend bebilderter Katalog zur Ausstellung mit begleitenden Texten und Bildbeschreibungen zeigt, wie Modelle, Akte, Kokotten und Tänzerinnen ihren Niederschlag in Kirchners Kunstwerken finden.
Kuratiert wurde die Ausstellung von Prof. Dr. Magdalena M. Moeller, Direktorin Brücke-Museum Berlin und der Co-Kuratorin Annette Vogel, Künstlerische Leitung Sommerausstellungen Balingen.
Eintrittspreise:
Tages-Eintrittskarte 9,50 €
Gruppen ab 20 Personen, Rentner, Schwerbehinderte 9,00 €
Schüler, Studenten 6,00 €
Schülergruppen ab 20 Personen 4,50 €
Langer Dienstag (ab 18.00 Uhr)
Erwachsene 5,00 €
Schüler, Studenten 3,00 €
Kinder bis 13 Jahre frei
Öffentliche Führungen:
Di. um 18.30 Uhr / Sa. und So. jeweils um 11.00 Uhr pro Person jeweils 5,00 €
Kombikarte mit Burg Hohenzollern:
Erwachsene 17,00 €
Schüler / Studenten 11,00 €
Gruppenführungen:
während den Öffnungszeiten nach tel. Voranmeldung (07433) 9008-413
Mo. bis Fr. 85,00 € / Sa., So. und 3. Okt. jeweils 95,00 € jeweils zzgl. Eintritt
Sonderführungen (Soiree, Schüler, Kinder etc.) sind auch außerhalb der Öffnungszeiten nach Vereinbarung möglich.
Um einen reibungslosen Ablauf zu gewähren, bitten wir Gruppen mit eigenen Führern um vorherige Anmeldung.
KUNSTZELT - ein Angebot in Kooperation mit der Jugendkunstschule Balingen
Die Kunstpädagogen der Jugendkunstschule Balingen bieten für Kinder ein besonderes Kunsterlebnis an: Im Anschluss an einen kurzen Ausstellungsbesuch wird im Kunstzelt gezeichnet, gemalt, gedruckt und erzählt – mit viel Raum für eignes Erleben und Tun erforschen die Kinder Kunst auf ganz eigene Weise. Währenddessen haben die Eltern die Möglichkeit zu einem eigenen Ausstellungsbesuch.
An folgenden Sonntagen vorbeikommen und einfach mitmachen:
3. & 17. Juli / 14. & 28. Aug. / 11. & 25. Sept. / 2. Okt.
jeweils um 10.30 Uhr ohne Voranmeldung
Teilnahmegebühr: 9,- € (inkl. Materialkosten), Dauer: ca. 2 h
Begleitausstellungen:
Wolf Nkole Helzle: Fotografische Verdichtungen – Menschen und Landschaften
Zehntscheuer Balingen, Neue Str. 59 ▪
bis 3. Oktober, täglich 13 – 18 Uhr ▪ Eintritt frei
Markus Lüpertz: Arbeiten auf Papier
Rathausgalerie, Färberstr. 2
7. Juli bis 3. Oktober, Mo. – Fr. 8 – 18 Uhr, Sa. 9 – 18 Uhr und So. 13 – 18 Uhr ▪ Eintritt frei





