Mythos Schwäbische Alb
07.02.2023

Neue Ausgabe des Magazins Marktleben: Ährenrettung

Ein roter Teppich für die Alb

Um die alte Weizensorte Roter Älbler zu rekultivieren, die früher auf der Schwäbischen Alb gut gedeihte aber seit den 50er Jahren aus unserer Landwirtschaft verdrängt wurde, war viel Unternehmergeist und Liebe zum Detail nötig.

Man sieht es nicht auf den ersten Blick. Nur wer sich gut auskennt, kann einen Rotweizen auf dem Feld von einem normalen Weizen unterscheiden. Aber auch wenn das Rot der Samen-körner verborgen in den Ähren ruht, ist ein Rotweizen-Feld wie ein Ehrenteppich für die Schwäbische Alb. Nur wer weiß, was für eine Geschichte hinter dieser Feldfrucht steht, kann erkennen, was er da sieht.

Reine Lebensenergie

„Wenn ich diese dunklen Körner sehe – das ist für mich reine Lebensenergie“, schwärmt Landwirt Jörg Holzschuh. Er und sein Kollege Franz Häußler haben auf ihren Feldern auf der Schwäbischen Alb im letzten Jahr etwa 15 Tonnen dieses kostbaren Weizens geerntet. Doch bis dahin war es ein langer  Weg.

Der Rotweizen Roter Älbler hat seine Farbe aufgrund der Anthozyane, die für unser Immunsystem von großer Bedeutung sind. Trotz der Höhe seiner Halme beweist er auf der windigen Alb eine hohe Standfestigkeit und passt insgesamt hervorragend zu den Böden und dem Klima hier. Sein Korn kann im Backprozess außergewöhnlich viel Wasser aufnehmen. Somit bleiben Backwaren aus Rotweizen lange frisch. Ihr Geschmack ist sehr aromatisch und erinnert ein wenig an den Dinkel.

Was verloren ist, kommt so leicht nicht wieder

Der Grund, warum der rote Weizen aus der europäischen Landwirtschaft weitgehend verdrängt wurde, ist der gleiche wie bei vielen anderen Sorten: wirtschaftlich zählt in erster Linie der Ertrag. So wurde die Vielfalt auf den Äckern durch wenige, sehr ertragreiche Sorten abgelöst. Wenn sich nun regionale Initiativen wieder den historischen Sorten zuwenden, ist das nicht nur für den Erhalt der Artenvielfalt wichtig. Vielfalt in unserer Ernährung ist auch von gesundheitlicher Bedeutung.

Aber was verloren ist, kommt so leicht nicht wieder. Die Geschichte des Rotweizens zeigt, wie ungeheuer viel Engagement dazugehört, ein solches Getreide wieder anbaufähig zu machen.

Angefangen hat die Geschichte mit einem Lieblingsessen der Schwaben, der Linse. Da ihr Anbau in unseren Breiten sehr aufwendig ist, wurde sie von ausländischen Sorten von der Alb vertrieben, das Saatgut war verloren, das Wissen um den schwäbischen Linsenanbau ebenso.

Dass die Alb-Leisa heute wieder zu haben sind, verdanken wir insbesondere dem Einsatz von Woldemar Mammel aus Lauterach und dem Verein Kulturpflanzen Alb e.V. Sie starteten 2001 mit fünf Bio-Landwirten den Linsenanbau. Heute sind es circa 150 Bauern und die Linsen sind zu einem Teil des regionalen Bewusstseins der Schwäbischen Alb geworden.

Der Kulturpflanzen Alb e.V.

„Viele andere alte und gefährdete Sorten versucht der Verein Kulturpflanzen Alb e.V. zu erhalten“, erklärt Lutz Mammel. Sein Unternehmen Lauteracher Alb-Feld-Früchte entstand aus der Initiative zum Wiederanbau der Linse auf der Schwäbischen Alb. Es nimmt eine zentrale Rolle dabei ein, die Pflanzen und die Arbeit mit ihnen soweit zu entwickeln, dass man die alten Sorten wieder marktreif produzieren und verkaufen kann.

2011 wendete der Verein sich dem Rotweizen zu. Wendelin Heilig, bis 2021 Pflanzenbau-berater beim Kreislandwirtschaftsamt in Münsingen, hatte ein paar Rotweizen-Pflanzen von einem Hochschulprofessor erhalten, die der Grundstock für den Anbau sein sollten. Doch leider funktionierte das zunächst nicht. Die Blüte des Rotweizens, die über Wochen offen steht, macht ihn anfällig für Pilzbefall und so schienen erhebliche Ertragsausfälle das schöne Projekt zunächst zunichte zu machen.

Hindernisse überwinden

„Hilfe kam von biodynamisch arbeitenden Züchtern in der Schweiz und bei Frankfurt“, erinnert sich Wendelin Heilig. Heute kommt der Rotweizen auf einen Ertrag von etwa 60-70% des normalen Weizens, aber immer noch machte der Pilz, der Steinbrand, der kon-ventionell durch chemische Beizen bekämpft wird, im biologischen Anbau Probleme. Eine Bürstmaschine, mit der die Pilzsporen mechanisch vom Getreide entfernt werden können, war zu teuer, als dass sie ein Landwirt vom Verkaufserlös seines Rotweizens je hätte refinanzieren können.

Aber an dieser Stelle zeigt sich, dass durch regionale Zusammenarbeit Hindernisse überwunden werden können, die normalerweise so wertvolle Projekte wie den Rotweizen zum Scheitern verurteilen würden. Landwirt Jörg Holzschuh erwarb die Maschine gemeinsam mit Lauteracher Alb-Feld-Früchte, der Bäckerei BeckaBeck und einer Förderung des Biosphärengebiets Schwäbische Alb.

Zum Glück haben wir in unserer Region auch noch Mühlen, deren Mahlmengen nicht zu groß sind, um sich solcher regionalen Lieblingsprojekte anzunehmen, und so malt nun die Mühlengenossenschaft Römerstein das Mehl aus dem Rotweizen der Landwirte Franz Häußler und Jörg Holzschuh für die Bäckerei BeckaBeck, die daraus leckere Rote Weckle backt. Bei diesen Brötchen beißt man in ein Stück Schwäbische Alb, wie es authentischer nicht sein könnte – am besten mit einem herzhaften Belag oder auch einfach nur Butter.

Der Stolz der Alb

Erst 2022 waren alle Probleme so weit gelöst, dass eine Ernte bereitstand die groß genug war, um in ausreichender Menge verbacken zu werden. „Ich bin tief beeindruckt von dem Aroma des Rotweizens“, schwärmt Heiner Beck. Für ihn ist das Rotweizen-Projekt eines von vielen, mit denen er „die Schätze der Alb ins Ländle bringen“ will.

Lutz Mammel ist Ansprechpartner für viele Landwirte, die weit verteilt auf der Schwäbischen Alb nicht nur Linsen, sondern auch eine Menge anderer Feld-Früchte in Bioland-Qualität anbauen. Über die vielen Gastronomen und Läden die er beliefert, aber auch über seinen Webshop sind zahlreiche Produkte aus der Region zu haben, sein Hofladen in Lauterach ist eine echte Fundgrube für regionale Lebensmittel aller Art. Bei ihm gibt es den Rotweizen als Mehl oder ganzes Korn, für vielversprechende Experimente in der eigenen Küche.

Mit dem Roten Älbler wurde nun also eine weitere Feldfrucht gerettet, deren Saatgut sonst für immer verloren gewesen wäre. Eine Ährenrettung könnte man also sagen. An der Geschichte des Rotweizens wird deutlich, was für ein umfangreiches Engagement hinter echten, individuellen regionalen Produkten steht, das sie einzigartig und besonders wertvoll macht. Ange-fangen von fachkundigen Samenexperten und landwirtschaftlichen Beratern, unterstützt von Hochschulen und Züchtern, über innovative Landwirte, Mühlen, Bäcker und Vermarkter bis hin zu Gastronomen, (Hof-)Läden, Märkten und schließlich Kunden mit Sinn für Regionalität, verhelfen alle zusammen ihrer Region zu einer unverwechselbaren Besonderheit, auf die wir dann zurecht auch stolz sein können.

www.lauteracher.de

www.marktleben.de

Datum

07.02.2023

Tourismusgemeinschaft Mythos Schwäbische Alb im Landkreis Reutlingen e.V.
Bismarckstraße 21, 72574 Bad Urach

Telefon +49 7125 15060-0, info@mythos-alb.de